Die SV Winnenden ist Weltspitze – in einer rasanten, technisch schwierigen und noch recht jungen Sportart, die noch um Anerkennung kämpft. Mona Sing und ihr Bruder Noah (18) sowie Alexa Brust (14) sind Kader-Mitglieder des Deutschen Ski-Verbands (DSV), Verena Müller (17) gehört dem Landeskader an. Ein Trainingsbesuch in Leutenbach-Nellmersbach.
Volle Konzentration zwischen blauen und roten Kippstangen: Die Winnender Vize-Weltmeisterin Mona Sing bei einem Trainingslauf. Bild: Steinemann |
Auslauf - Gegenhang als natürliche Bremse
Auch die Aussicht von den am Start aufgestellten Klappstühlen auf die Bundesstraße könnte ein bisschen romantischer sein. Andererseits: Mona und Noah Sing, Alexa Brust und Verena Müller sind nicht zum Relaxen hier. Es wird hart gearbeitet. „Die Strecke ist eigentlich ideal“, sagt Hans Schwenzer, Ski-Inline-Sportwart des Schwäbischen Ski-Verbands. „Wichtig ist, dass sie einen Gegenhang hat.“ Der dient quasi als Auslauf, als natürliche Bremse. Stopper haben die Skates nicht, ohne die entsprechende Topografie kämen die Läufer wohl erst kurz vor Winnenden zum Stehen.
Zweimal die Woche trainieren die vier Vorzeige-Läufer der SV Winnenden abends auf der offiziell genehmigten Strecke. Mona Sing hatte sich im vergangenen Jahr den Europameister-Titel im Riesenslalom gesichert, vor ein paar Wochen wurde sie Vize-Weltmeisterin im Slalom und Parallel-Slalom. Ihr Bruder Noah (19) überraschte bei der WM mit Rang fünf im Parallel-Slalom, Alexa Brust wurde in dieser Disziplin Vierte. Im Sauerland nicht am Start war Verena Müller (17), die dem Landeskader angehört. Die anderen drei sind Mitglieder des Deutschen Ski-Verbands (DSV).
International nicht ganz so erfolgreich sind die Winnender im Riesenslalom, was in erster Linie an den fehlenden Trainingsmöglichkeiten liegt. Die Strecke müsste breiter sein, damit die Tore entsprechend platziert werden können. Die eine oder andere Idee für ein weiteres Übungsgelände hätten die Winnender schon. So ganz einfach indes ist das nicht: Da ist zum einen die Haftungsfrage. Schließlich gibt’s wenige asphaltierte Wege, die nicht von Fahrzeugen befahren werden dürfen. „Wir können ja auch nicht irgendwo die Slalomstangen aufstellen“, sagt Schwenzer.
Ende der 1990er Jahre kam der Trendsport Inline-Skaten auf, 1997 gab’s die ersten Wettkämpfe. Die Wintersportabteilung des SV Spiegelberg, mit Hans Schwenzer an der Spitze, sprang auf den Zug auf. Die SV Winnenden stieg 2002 ein – mit Schwenzers Unterstützung. Im Jahr darauf fand in Winnenden bereits der erste Kreisentscheid statt. Die Sportart gewann immer mehr Anhänger, der DSV stellte eine Rennserie auf die Beine.
Balance - Training auf der Slackline
Eigentlich sollte Ski-Inline den Sportlern in der schneelosen Zeit als Trainingsmöglichkeit dienen, es entwickelte sich jedoch nach und nach zu einer eigenen Sportart. „Am Anfang hatten wir in Winnenden zwischen 15 und 20 Läufer“, sagt Schwenzer. Aktuell fahren nur Mona und Noah Sing, Alexa Brust und Verena Müller Rennen. Rund 15 weitere Kinder trainieren in der Rollsportanlage in Winnenden. Dass sich die Anzahl der aktiven Läufer reduziert hat, dürfte nicht zuletzt dem erheblichen Aufwand geschuldet sein. Wie immer, wenn Kinder Leistungssport treiben, müssen die Eltern nicht nur viel Zeit, sondern auch ein bisschen Kleingeld mitbringen. Und sie sollten ein Faible haben für die Sportart. Wie Petra und Volker Sing, die sich über die Wochenend-Gestaltung seit Jahren kaum Gedanken machen müssen. Ihre beiden Kinder Mona und Noah zählen zu den besten Ski-Inlinern überhaupt. Mona ist derzeit Zweite der Frauen-Weltrangliste, Noah liegt auf Rang 16 bei den Männern. Die 14 Jahre alte Alexa Brust ist Elfte in ihrer Altersklasse, Verena Müller (17) ist 51.
Platzierungen, die sich das Quartett hart erarbeitet hat. Die dritte Trainingseinheit pro Woche findet am Stützpunkt in Mosbach bei Heilbronn statt, wo auch der Bundestrainer zugegen ist. Damit jedoch nicht genug: Mit diversen Läufen wird die Ausdauer trainiert, Slackline und Wippe dienen der Gleichgewichtsschulung. Die wird benötigt, um schlangengleich durch den Slalomwald zu huschen. „Alle vier fahren auch sehr gut Ski“, sagt Volker Sing. Der Bewegungsablauf beim Inline-Alpin ist vergleichbar. Zwei bedeutsame Unterschiede indes gibt’s: Weil Skates kürzer sind als Skier, ist es schwieriger, die Balance zu halten. „Und beim Skifahren schmerzt ein Sturz nicht so sehr“, sagt Volker Sing und lächelt.
Klar, die Reibung auf Asphalt ist um etliches höher als auf Schnee. Wobei die Inliner sehr gut geschützt sind: Knie-, Ellbogen- und Handgelenk-Protektoren sowie ein fest sitzender Helm sind obligatorisch. Und ein Rückenprotektor kann nicht schaden bei Geschwindigkeiten von über 50 Kilometern in der Stunde auf Strecken mit einem Gefälle zwischen sechs und 13 Prozent und einer Länge von rund 300 Metern. Die 40 Slalomstangen stehen dabei in Abständen zwischen fünf und sieben Metern.
Psyche - Unterstützung vom Professor
In 30 Sekunden ist alles vorbei, über Sieg und Niederlage entscheiden meist Hundertstelsekunden. Das heißt, die Technik muss ausgereift und das Material hochwertig sein. Je nach Untergrund und Wetter werden weiche oder harte Rollen auf die Alu-Schienen geschraubt. „Wir geben im Jahr etwa 1500 Euro nur für die Rollen aus“, sagt Volker Sing. Die carbonverstärkten Schuhe sind für 400 Euro zu haben. Alles in allem kommen bei den Sings, bei zwei Kindern, im Jahr schon 10 000 Euro zusammen. Inklusive der Fahrtkosten.
Degmarn bei Heilbronn gilt als das Mekka des Inline-Sports, zu den Rennen in der näheren Umgebung zählen Steinenbronn bei Böblingen, Nagold oder Dettingen. Hin und wieder geht’s auch nach Italien, Tschechien oder Österreich. Die weiteste Anreise ist den Inline-Skatern erspart geblieben. Oder verwehrt. Eigentlich hätte die Weltmeisterschaft 2014 in Nagano stattfinden sollen, doch die japanische Olympiastadt machte kurzfristig einen Rückzieher. Oberhundem im Sauerland sprang ein, und die Winnender Läufer trumpften groß auf. Mona Sing, mit 23 Jahren die Senioren im Team, kehrte mit zwei Silbermedaillen zurück.
Die Deutsche Slalom-Meisterin hatte sich zwar Chancen ausgerechnet, der Sprung aufs Treppchen war aber ein hartes Stück Arbeit. „Um ganz vorne mitzufahren, muss man immer alles riskieren“, sagt sie. „Mit dem kleinsten Fehler bist du weg, es ist ein schmaler Grat auf diesem Niveau.“ In der Vergangenheit hatte Mona Sing immer wieder mit den Nerven zu kämpfen. „Diesmal habe ich mich gezielt vorbereitet.“ Ein Professor an der Uni Ludwigsburg, wo Mona Sing im siebten Semester Lehramt studiert, hat sie dabei unterstützt.
Die erfolgreichen Ski-Inline-Sportler der SV Winnenden auf ihrem Trainingsgelände in Nellmersbach (von links): Noah Sing, Verena Müller, Alexa Brust und Mona Sing. Bild: Steinemann |
„Ein bisschen komisch“ sei das schon, finden Volker und Petra Sing. „Es wird jetzt ganz schön einsam zu Hause“, sagt die Mutter. Dafür werden die restlichen Familienmitglieder nun größere Aufmerksamkeit genießen: Für die beiden Katzen gibt’s sicherlich die eine oder andere Streicheleinheit zusätzlich.